Mittwoch,11.Dezember 2024
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Die neuen Kreditgeber der Entwicklungsländer

Die Finanzialisierung der Wirtschaft hat zweifellos zu einer Machtverschiebung vom staatlichen zum privaten Sektor geführt. 

Von Julien Chevalier

Seit mehr als einem halben Jahrhundert spielen die Finanzinstitutionen des Westens, d. h. der IWF und die Weltbank, eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Entwicklungsländer. Doch die wachsende Feindseligkeit gegenüber diesen Institutionen und den Strukturreformen, die sie erzwingen, haben es anderen Staaten und Organisationen ermöglicht, sich nach und nach einen Platz zu verschaffen. Nach Jahren des starken Wachstums ist vor allem China zu einem bedeutenden Kreditgeber in vielen Regionen geworden, insbesondere in Afrika. Sein wirtschaftlicher und demografischer Abschwung bremst indessen die großen Ambitionen des Landes. Dank der immer größeren staatlichen Unterstützung, die sie erhalten, spielen private Gläubiger heute eine wachsende Rolle bei der Finanzierung der Entwicklungsländer. Ist dies Zeichen eines Umschwungs?

IWF, Internationaler Währungsfonds, Wirtschaft (Foto: Goldreporter)

Eine Schuldenkrise zeichnet sich ab. Die Folgen der Gesundheitskrise, der Inflation, der Zinserhöhungen im Westen und die Hausse des Dollars schwächen die Staaten, die bereits mit Schwierigkeiten aller Art zu kämpfen haben, immer weiter. In den letzten drei Jahren wurden in zehn Entwicklungsländern bereits 18 Zahlungsausfälle verzeichnet – mehr als in den beiden vorhergegangenen Jahrzehnten. Am stärksten gefährdet sind Länder mit geringen Einnahmen, deren Schulden zu fast einem Drittel variabel verzinst sind. Rund 60 % dieser Staaten werden als überschuldet eingestuft oder sind auf dem Weg dahin. Infolgedessen leiden nach Angaben der UNO 3,3 Milliarden Menschen darunter, dass ihre Regierungen gezwungen sind, Zinszahlungen den Vorrang vor grundlegenden Investitionen zu geben. 2024 werden sich die Kosten des Schuldendienstes für die Entwicklungsländer voraussichtlich um 10 % erhöhen, für die ärmsten unter ihnen sogar um 40 %. Angesichts dieser Situation mit teilweise katastrophalen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen bieten die laufenden Reformen der internationalen Finanzarchitektur keine Lösung.

Finanzinstitutionen des Westens müssen sich neu erfinden

Die Programme des IWF und der Weltbank, die kraft des Washington-Konsens seit vier Jahrzehnten durchgesetzt werden, sind mit wachsender Zurückweisung konfrontiert. Letzten Sommer hat der tunesische Präsident Kais Saied beispielsweise einen IWF-Kredit über 1,9 Milliarden Dollar abgelehnt. In unserer zunehmend fragmentierten Welt müssen sich die westlichen Finanzinstitutionen neu erfinden.

Vor diesem Hintergrund begannen am 9. Oktober 2023 die Jahresversammlungen des IWF und der Weltbank erstmals seit 50 Jahren wieder in Afrika, in Marrakech. Auf der Tagesordnung standen die Reform der Bretton-Woods-Institutionen und Finanzierungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Das Ziel: neue Kredite grün einzufärben, sodass sie fast wie Spenden erscheinen. Seit mehreren Jahren stellt der IWF Kredite mit 20-jähriger Laufzeit fast zu Nullzinsen bereit, um damit „Klimaschutzmaßnahmen“ in den ärmsten Staaten zu finanzieren – obwohl deren Anteil an den globalen Kohlenstoffemissionen fast null ist und die Länder des Nordens ihr Versprechen zur Finanzierung der Klimapolitik der ärmsten Staaten im Umfang von 100 Milliarden Dollar jährlich innerhalb der gesetzten Fristen nicht eingehalten haben…

Parallel dazu haben die Versammlungen die fundamentale Frage nach der Führung dieser Institutionen aufgeworfen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurden, um das internationale Finanzsystem zu stabilisieren, aber in erster Linie von den westlichen Saaten geleitet werden. Eine echte Veränderung wurde nicht ausgehandelt, da die Schwellenländer (einschließlich der BRICS) nur mit einer wenig einflussreichen Minderheit vertreten sind, während die südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Staaten lediglich einen wenig bedeutsamen dritten Sitz im Exekutivrat des IWF erhielten. In beiden Institutionen ist das Stimmrecht der Staaten an ihren jeweiligen Anteil (Beitrag zum Kapital der Institution) gekoppelt, welcher auf willkürliche Weise basierend auf ihrem wirtschaftlichen und geopolitischen Gewicht in der Welt berechnet wird. Die USA verfügen über 17,4 % der Stimmrechte, China über 6,4 % (obwohl seine Wirtschaftsleistung rund 20 % des globalen BIP ausmacht), Deutschland 5,6 % usw. Der Westen kann infolgedessen leicht eine Mehrheit zusammenstellen und die Vereinigten Staaten können ein systematisches Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen ausüben, die alle mindestens 85 % der Stimmen benötigen.

Erklärtes Ziel dieser Versammlungen war vor allem auch, die Finanzierungspolitik dieser Institutionen anzupassen, damit sie mehr Kredite vergeben können. Die Mitgliedsstaaten stellen entsprechend ihres Anteils an jeder Institution den Großteil der Finanzmittel bereit, und ein Vorschlag zur Anhebung der Quoten um 50 % wurde angenommen. Nichtsdestotrotz droht das Finanzierungsvolumen angesichts der sich verschärfenden Kreditbedingungen in den Industriestaaten (die einen beträchtlichen Anteil der Darlehen vergeben), der historischen Staatsverschuldung und der Verschlechterung der öffentlichen Finanzen nun zu sinken. Gemäß dem Trend der letzten Jahre müsste von dieser Entwicklung theoretisch China profitieren, das als Kreditgeber zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Doch die Regierung von Xi Jinping sieht sich mit maßgeblichen Schwierigkeiten konfrontiert.

China: Ausfall eines mächtigen Geldgebers

Seit mehr als einem Jahrzehnt konzentriert sich China besonders auf externe Entwicklungshilfe (zum Nachteil der eigenen Bevölkerung). Zu diesem Zweck werden die Ersparnisse des Landes aus den Jahren des starken Wachstums nun genutzt, um Ländern mit Finanzierungsbedarf Geld zu leihen. Mittels einer sonderbaren Strategie, in deren Rahmen die Kredite an keinerlei Bedingungen geknüpft sind, ahmt das Land die Finanzinstitutionen des Westens nach. Die Rückzahlungskonditionen sind oft kulanter, denn wenn ein Schuldner kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, werden seine ausstehenden Kredite oft umgeschuldet (ebenso wie das der Pariser Club Ende des 20. Jahrhunderts praktizierte), und wenn sich die Finanzlage des Landes weiter verschlechtert, werden Rettungsdarlehen bereitgestellt (allerdings zu Zinssätzen von fast 5 %, d. h. doppelt so hoch wie die typischerweise vom IWF geforderten Zinsen). Auf diese Weise konnte China im Rahmen seiner technologischen und militärischen Entwicklung auch seine Beziehungen in Zentralasien und in Afrika schnell ausbauen – Regionen, die durch ihren Reichtum an Bodenschätzen gekennzeichnet sind. Das Land kann dabei vor allem auf seine Staatsbanken vertrauen (die China Development Bank und die Export-Import Bank), die in den letzten 20 Jahren 70 % der chinesischen Kredite an Schwellen- und Entwicklungsländer vergeben haben, aber auch auf andere nationale Banken. Die Mehrheit der Kredite (rund 80 %) werden indes an Schwellenländer vergeben, um den chinesischen Bankensektor vor möglichen Zahlungsausfällen zu schützen.

Darüber hinaus hat China enge Handelsbeziehungen zu diesen Staaten und ist seit 2009 der wichtigste Handelspartner des afrikanischen Kontinents, aber auch verschiedener lateinamerikanischer Länder (Argentinien, Brasilien, Chile, Peru) und zahlreicher anderer.

Dennoch neigt sich diese Ära ihrem Ende zu. Während dem chinesischen Wirtschaftsmodell die Luft ausgeht, wird sein Status als Geldgeber geschwächt. China vergibt heute deutlich weniger Kredite als zuvor. In Afrika beliefen sich die chinesischen Darlehen 2022 beispielsweise nur auf 1 Milliarde Dollar, der niedrigste Betrag seit 2004. Zudem sah sich das Land gezwungen, gegen seine übliche Praxis zu verstoßen und sich unter anderem der westlichen Initiative DSSI anzuschließen, welche von den G20 ins Leben gerufen wurde und die gezielte Aussetzung der Zinszahlungen bestimmter Länder zum Ziel hat. Global betrachtet schadet diese Situation den Schuldnerstaaten mehr als China, dessen sinkendes globales Kreditvolumen lediglich Ausdruck einer schwächelnden Wirtschaft ist.

Private Kreditgeber profitieren dagegen schon seit Langem davon.

Die wachsende Rolle privater Geldgeber

Die Finanzialisierung der Wirtschaft hat zweifellos zu einer Machtverschiebung vom staatlichen zum privaten Sektor geführt. Das gilt umso mehr in dem Maße, wie die öffentliche Hand (und vor allem die Zentralbanken) ihre Unterstützungsprogramme für Finanzakteure ausbaute. Da letzteren die garantierte Rettung zugesichert wurde – koste es, was es wolle – können sie nun teilweise riskante, dafür aber besonders einträgliche Kredite vergeben. Die von ihnen geforderten Zinsen sind im Allgemeinen doppelt so hoch wie die Zinsen staatlicher Akteure, und die Kreditbedingungen deutlich strenger. Zudem sind private Institutionen von staatlichen Initiativen zum Erlass, zur Aussetzung oder zur Umstrukturierung von Schulden ausgenommen. Das führt teilweise zu indirekten staatlichen Subventionen, wenn die von einem Staat genehmigte Schuldenerleichterung zugunsten eines privaten Akteurs stattfindet.

In den letzten Jahren haben private Kreditgeber in den Entwicklungsländern eine immer wichtigere Rolle gespielt, vor allem sogenannte Schattenbanken (Hedgefonds, Private Equity…), Retail- und Investmentbanken, aber auch Bergbaukonzerne (das Unternehmen Glencore hält beispielsweise 20 % der Staatsschulden des Tschad). Nach Angaben des Institute of International Finance machen private Finanzierungen mittlerweile 27 % der Staatsschulden armer Länder aus, verglichen mit nur 11 % im Jahr 2011. In Afrika halten sie mehr als 30 % der Auslandsverschuldung des Kontinents. In manchen Staaten mit mittleren Einnahmen, so wie Ghana und der Elfenbeinküste, liegt der Anteil sogar bei fast 60 %.

Zahlreiche Risiken führen zu immer größerem Finanzierungsbedarf. Der Rückgang von Staatseinnahmen und Exporten, Zinserhöhungen, Wechselkursschwankungen, Kapitalflucht, Devisenknappheit und vor allem auch die Verlangsamung des Wachstums zählen zu den Herausforderungen, die das Schuldenproblem der Entwicklungsländer verschärfen. Bei vielen gesellt sich noch das Problem der Armut oder extremer Armut hinzu, eine oft komplizierte politische Lage sowie ein Sozialsystem in Schwierigkeiten.

Während Haushaltsbeschränkungen die Kreditvergabe durch Industriestaaten bremsen können, bleiben auch die privaten Kreditgeber wachsam. Die Furcht vor Zahlungsausfällen und sinkender staatlicher Unterstützung könnte sie von der Vergabe weiterer Darlehen abhalten. Der Anstieg der Zinssätze hat zudem die Arbitragegeschäfte (und folglich auch die Finanzierungen) stark eingeschränkt, die darauf abzielen, in Industrieländern Kredite zu niedrigen Zinsen aufzunehmen, um von den höheren Renditen in Entwicklungsländern zu profitieren. 2022 sank das Volumen der von privaten Akteuren an Entwicklungsländer vergebenen Kredite beispielsweise um 23 % und fiel damit auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren. Gleichzeitig erhielten sie 185 Milliarden Dollar mehr an Kapitalrückzahlungen, als sie den Entwicklungsländern geliehen hatten. Die Weltbank und die internationalen Kreditgeber mussten eingreifen.

Es stellt sich also die Frage nach der fehlenden Finanzierung und der Tragfähigkeit der Schulden in den Entwicklungsländern. Mehr partielle, gezielte und an entsprechende Bedingungen geknüpfte Schuldenerlasse sind notwendig, um Ländern, die diese dringend benötigen, Handlungsspielraum zu verschaffen und sie nicht für Risiken zahlen zu lassen, für die sie nicht verantwortlich sind. Die internationale Finanzarchitektur muss neu gedacht werden und neue Finanzinstitutionen, die die veränderte Realität der heutigen Welt widerspiegeln, müssen gegründet werden. Es ist eine multipolare Welt, in der einige Staaten nur noch dem Namen nach Schwellenländer sind, da sie sich längst zu vollwertigen Mächten entwickelt haben. Dies ist die unabdingbare Voraussetzung, um nicht nur ein Gleichgewicht zu schaffen, das helfen wird die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sondern auch um die sehr fragilen Demokratien zu schützen.

Quelle: GoldBroker.com

Zum Autor: Als Student der Finanzwissenschaften und Redakteur bei Le Vent Se Lève hat sich Julien Chevalier auf Fragen der Geld- und Währungspolitik sowie auf die Rolle der Zentralbanken spezialisiert. Er ist überzeugt, dass eine andere Geldpolitik möglich ist und interessiert sich insbesondere für deren Einfluss auf wirtschaftliche und politische Entscheidungen.

Hinweis: Meinungen oder Empfehlungen im Rahmen von Gastbeiträgen geben die Einschätzung des jeweiligen Verfassers wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung von Goldreporter dar.

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1 Kommentar

  1. Wenn China Dollaranleihen von 7-800 Milliarden hat, welche sowieso nie irgendwie beglichen werden, können sie diese Dollar auch „weiterverleihen“ an Staaten, die diese Kredite auch nie begleichen werden. Dafür gewinnt man dann aber Vorteile

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